Haltung im Unvollkommenen
Die Kunst, zwischen Regeln und Kulanz zu navigieren

Es gibt diese Momente im IT-Alltag … man weiß, dass es jetzt unangenehm wird. 

Ein Ausfall, eine fehlende Datei, ein wichtiger Schritt im Prozess, der übersprungen wurde, eine vorgezogene oder plötzlich doch irrelevante Frist. Und dann stehen wir da, manchmal schuldbewusst, manchmal ahnungslos, manchmal überzeugt, dass das ja alles nicht so dramatisch sein kann.

Für die Beteiligten stellt sich dann die große Frage:
Muss ich jetzt streng sein oder großzügig: Regeln oder Kulanz, Vertrag oder Beziehung? 

Die meisten Organisationen verhalten sich hier reflexhaft. Entweder sie berufen sich auf die Bedingungen. Oder sie winken alles durch und nennen es Kundenorientierung. Kulanz ist aber kein Geschenk, sondern eine strategische Investition in die Beziehung. Durchsetzung der Bedingungen ist keine Härte, sondern Schutz der eigenen Struktur. Und beides kann je nach Kontext absolut sinnvoll sein.

Und beides kann schiefgehen. Das Problem mit Entweder-Oder ist, es ist zu binär gedacht.

Regeln durchzusetzen ohne Kontext wirkt schnell wie eine bürokratische Fortsetzung von „Das haben wir schon immer so gemacht“. Zu großzügige Kulanz wirkt wie eine Einladung, es beim nächsten Mal wieder nicht so genau zu nehmen. Beides hinterlässt den gleichen Nachgeschmack wie lauwarmer Kaffee. Man erträgt ihn, aber er inspiriert nicht. Wie wäre es mit einer anderen Überlegung?

Das „Drei-Konten-Modell“

Hilfreicher ist es, nicht in Schwarz oder Weiß zu denken, sondern in drei Konten:

  • Finanzkonto – Wer trägt die Kosten? Wie teuer wird es für uns. Und was kostet es, den Fehler komplett auszubügeln.
  • Beziehungskonto – Wie gesund ist unsere Zusammenarbeit? Wie wichtig ist uns die Zusammenarbeit langfristig. Ist das ein Partner, mit dem wir fünf Jahre wachsen wollen oder ein Einmalprojekt.
  • Reputationskonto – Wie wirkt die Entscheidung nach außen? Welche Signalwirkung hätte es, wenn wir eine Ausnahme machen oder nicht.

Eine gute Leitung entscheidet nicht nur aus einem dieser Konten. Die Kunst liegt darin, alle drei gleichzeitig im Blick zu behalten. Eine Art innerer Dreisprung, nur ohne Medaille.

Kulanz ist keine Nettigkeit

Kulanz wird oft behandelt wie eine Art Bonuskarte für brave Kund:innen oder Dienstleister. Ist sie aber nicht. Kulanz ist eine strategische Entscheidung. Sie kann Beziehungen festigen, Konflikte deeskalieren und sogar Vertrauen zurückholen. Aber nur, wenn sie klar kommuniziert wird.

Kulanz ohne Kommunikation ist wie ein Überraschungsei ohne Inhalt. Man freut sich kurz. Doch danach bleibt der fade Beigeschmack: Was heißt das jetzt fürs nächste Mal. Deshalb gehört zu Kulanz auch immer ein Mini-Rahmen: „Wir übernehmen das einmalig. Damit es in Zukunft nicht wieder passiert, achten wir gemeinsam auf …“ Freundlich, klar und ohne erhobenen Zeigefinger.

Regeln sind auch nicht böse

Auf der anderen Seite werden Regeln oft mit Härte verwechselt. Dabei sind Regeln nichts anderes als der Versuch, Komplexität zu verhindern und Gerechtigkeit zu sichern. Und ja, manchmal ist es notwendig sie zu verteidigen.

Wichtig ist nur, wie man das tut.

  • Mit Transparenz statt Tonfall.
  • Mit Logik statt Lektüre aus dem Kleingedruckten.
  • Mit Respekt statt „Sie hätten aber…“.

Ein gut gesetzter Satz wie „Damit wir weiterhin zuverlässig arbeiten können, brauchen wir diese Abstimmungsschritte“ wirkt Wunder. Es ist ein Angebot zur Kooperation, kein Schlagabtausch.

Wer beides in Balance bringt, hat’s geschafft.

Denn wer nur Bedingungen lebt, wirkt hart. Wer nur Kulanz lebt, wirkt chaotisch. 

In der Praxis fahren viele Partner am besten mit einer kombinierten Antwort.
Ein bisschen Kulanz, ein bisschen Struktur. 50 Prozent Übernahme und der klare Hinweis, warum das für alle fair ist. Plus eine kleine Prozessklarstellung. Weder großzügig noch streng, sondern angemessen.

Und vielleicht ist die eigentliche Kunst, Fehler nicht als Störung zu behandeln, sondern als Moment in der Beziehung, wo Vertrauen und Klarheit sichtbar werden.

Für alle, die dranbleiben wollen.
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